Zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an David Grossmann
Ich war ja nicht dabei, bei der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche. Darum war ich nicht ganz so bewegt von der Rede, die die Zuhörer „Christian Wulff, Richard von Weizsäcker, Norbert Lammert Volker Bouffier, Annette Schavan, und Hausherrin Petra Roth, aber auch die Schriftsteller Ruth Klüger, Katharina Hacker, Carolin Emcke, Martin Mosebach, Rüdiger Safranski und Albert Ostermeier spürbar ergriff“, (Felicitas von Lovenberg in der FAZ vom 11.10.2010).
Mir fehlte was und ich wunderte mich – über die so bewegten, ansonsten im politischen Tagesgeschäft gar nicht so zartbesaiteten Personen des öffentlichen Deutschlands. Ich mag ihn ja, den David Grossmann mit seinem lieben Aussehen und den leisen Tönen. Aber da fehlt mir was, wodurch man sich den Friedenspreis verdient. Die klare Ansage, das schonungslose Benennen der Fakten für den vom Preisträger beklagten Umstand, warum Israel seit 60 Jahren keinen Frieden hat. Grossmann ist Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung, wird über ihn geschrieben. In seiner Rede sagt er es nicht. Da geht er mit einer Kerze in „diesen Sturm“, wie er sagt, aber sagt nicht, wer den Sturm entfacht hat. Er stellt lieber sein Buch „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ vor, stellvertretend für sein Fliehen vor der Antwort, wie der Frieden in Israel erreicht werden könnte. Von einem Friedenspreisträger hätte ich mehr erwartet. Grossmann sagt nur, sein größter Wunsch wäre, daß Frieden herrscht. Und Hinschauen sollte man. Aber da sieht er nur, daß die Feinde auch Menschen sind. Offensichtlich ein Kraftakt für ihn, aber dann schon alles. Ein Rezept, aus Feinden Freunde zu machen, nennt er nicht. Stattdessen beklagt er den Zustand Israels, auch nach 62 Jahren immer noch keine festen Grenzen zu haben. Seit Jahren würden die sich etwa alle zehn Jahre verschieben, „weiten sich aus oder werden zurückgedrängt, mal unseretwegen, mal wegen unserer Nachbarn“. Bei so wenig klaren Grenzen hätten die Israelis kein Zuhause.
So kann man es sehen. Entspricht aber nicht ganz der Wahrheit. Denn die Grenzen verschieben sich nicht „etwa alle zehn Jahre“, sondern täglich. Und nicht „mal unseretwegen“, sondern ausschließlich unseretwegen. Wie man an den Golan Höhen und den illegalen Siedlungen belegen kann. So aber verharrt Grossmann in einer Weinerlichkeit, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Da vertreibt Israel seit 62 Jahren die Palästinenser in einer Form, die anderswo ethnische Säuberung genannt wird, beginnend 1948 mit der Zerstörung von 530 palästinensischen Dörfern und Vertreibung, und setzt das in den Folgejahrzehnten kontinuierlich fort. Stichwort Nabka 1948, 7 Mio. palästinensische Vertriebene, http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2008/05/nakba-die-grosse-katastrophe.html
Und David Grossmann schildert stattdessen, daß der zweite Libanonkrieg durch den überraschenden Angriff der Hisbullah auf eine israelische Militärpatrouille auf israelischem Gebiet begonnen hätte. Das kann man so sehen, wenn man die vielen vorherigen Angriffe der Israelis auf libanesischem Gebiet vergißt. Grossmann beschränkt sich auf „Eine Frau flieht vor der Nachricht“. Und wenn man das alles weiß, dann kann man nicht mehr formulieren, wie Grossmann es nachstehend tut: „ Ich kann ihnen (den Palästinensern) nur von ganzem Herzen wünschen, dass sie nach der über Generationen andauernden Unfreiheit durch die Besatzung von Türken, Engländern, Ägyptern Jordaniern und Israelis schon bald ein solches Leben der Freiheit und der Souveränität kennenlernen werden.“
Andere Israelis haben da ein weniger kitschiges Blatt vor den Mund genommen. Felicia Langer, Jeff Halper und Amira Hass zum Beispiel hätten deshalb vor David Grossmann den Friedenspreis verdient, aber die sprechen eine dem Deutschen Buchhandel vielleicht zu klare Sprache, mit Wahrheiten, wo man sich in der Paulskirche womöglich die Ohren zugehalten hätte. Das wollen wir doch nicht, liebe Weizsäckers, Wulffs und Bouffiers.
Ein einziger Satz hätte genügt, um der beschaulichen Rede Grossmanns Substanz zu geben:
Frieden erreicht Israel nur, wenn es endlich mit dem illegalen Siedlungsbau aufhört und den Palästinensern ihren eigenen Staat ermöglicht.