Kaum ist der letzte Ton des ersten Satzes einer Symphonie verklungen, da schwappt er in den Saal: der Konzerthusten. Wir alle kennen ihn. Das hartnäckigste Phänomen, seit es geschlossene Konzertsäle gibt. Wir warten auf das Ende des zweiten Satzes, der Dirigentenstab zittert noch in der Luft, da beginnt ein leises Hüsteln, gefolgt von einem hartnäckigen Hustencrescendo, bis schließlich der ganze Saal mit Husten angefüllt ist.
Angesichts dieses Szenarios ist man verwundert, dass so lange zurückgehalten werden konnte, was jetzt so kräftig hervorbricht.
Was sind das für Menschen? In meiner Nähe haben noch nicht viele gehustet, aber wenn man den Untersuchungen glaubt, so husten Akademikerkinder mehr als Arbeiterkinder. Man muß wohl davon ausgehen, dass es nicht die Robustesten sind, die den quälenden Reiz loswerden wollen. Konzerthuster sitzen sozusagen auf dem gebildet degenerierenden Ast. Womöglich wurden sie schon früh gegen ihren Willen in Konzerte geschleppt, mussten mehrere Instrumente gleichzeitig erlernen und husten jetzt aus verschlepptem Frust.
Ganz anders die Arbeiterkinder. Vor ihrem Aufstieg in die Gesellschaft haben sie noch nie einen Konzertsaal von innen gesehen, waren immer an der frischen Luft und hatten noch keinen Kontakt mit der virtuellen Konzerthausmilbe. Im Gegensatz zum gehobenen Bürger sind sie freiwillig hier und lieben die Musik, während dem Ministerialrat das Gesehenwerden mindestens so wichtig ist wie das Gehörte. Stellen Sie sich vor, sagte kürzlich meine Tischnachbarin, eine Besucherin hätte nicht nur in der Pause gehustet, sondern in den zweiten Satz hinein. Der Dirigent hätte nach einer Schreckpause wieder begonnen und wieder hätte die Dame gehustet. Beim dritten Mal verließ sie dann den Saal. Der reinste Terror.
Die Münchner Philharmoniker geben schon Benimmregeln heraus, man möge beim Husten doch ein Taschentuch vor den Mund halten und viele gehobene Musikhäuser legen dezent Bonbons an die Garderobe, aber mit dem Erfolg, dass meiner Tischdame schon mal eins in den Nacken gehustet wurde. Außerdem beschweren sich viele, dass es nur Pulmoll, aber kein Vivil gibt. Undankbares Publikum.
Simon Rattle vertritt die elitäre Meinung, dass nur bei schlechten Darbietungen gehustet würde. Aber meine Erfahrung und die Wissenschaft steht dagegen.
Meine Pöseldorfer Freundin behauptet, dass die Besucher in Köln anders husten als in Hamburg und setzt noch einen nach, in der Met hätte sie besonders laute Huster bemerkt. Da konnte ich nicht mehr mitreden, ich war nämlich noch nie in der Met.
Dirk Kranefuss
kurz vor Silvester
P.S. Nicht so ganz zum obigen Thema passend aber trotzdem nett ist die Geschichte, wo Karajan kurz vor seinem Tod die Hebriden-Ouvertüre von Felix Mendelssohn-Bartholdy spielt. Plötzlich ruft jemand aus dem Publikum: „Ist ein Arzt hier“? Karajan läßt sofort den Taktstock fallen. Da steht ein anderer Besucher auf und sagt: Ja, ich bin Arzt“. Da erhebt sich auch der erste und ruft dem anderen zu: „Ist es nicht wundervoll, Herr Kollege“!