Mittwoch, 11. November 2009

Kölner Lieblingsplätze: Zoobrücke Überholspur

Jeden Morgen und jeden Abend überquere ich den Rhein. Morgens stadtauswärts, abends stadteinwärts, über die Zoobrücke. Es dauert nur eine halbe Minute, aber der Blick auf Köln ist eine Ewigkeit.

Morgens fahre ich die Innere Kanalstrasse stadtauswärts die monoton gelbe Forsythienhecke entlang, nehme auf der linken Spur die bordsteinähnlichen Straßenbegrenzungssteine aufs Korn –typisch Köln, auf einer dreispurigen Schnellstrasse noch immer die Straßeneinfassung aus den Fünzigern - und schon steigt die Straße in einer breiten Rechtskurve zur Brücke hin an. An der Brücke hören die Häuserzeilen abrupt auf und der Blick fällt nach links in ein atemberaubendes Panorama. Du fliegst über den Rhein. Wie von einer Abschußrampe katapultierst du dich hoch über den Rhein ans andere Ufer.

Der Rhein fließt majestätisch unter dir her und Köln liegt dir zu Füßen. Nur nicht der Dom. Zu dem schaust du immer noch auf, zu grandios liegt er da, zu wuchtig, am Rhein. Der Blick ist nie gleich, fast nie. Mal sonnig, mal regnerisch, mal dunkel, mal hell, am beeindruckendsten für mich, wenn der Rhein wie Quecksilber glänzt und der Dom in einem fast Anthrazitgrau scheint.

Ein Zauber liegt über der Stadt. Sie wirkt fremd und vertraut zugleich. Aufbruchsstimmung. Immer habe ich das Gefühl, als ob ich verreise. Ich nähere mich der Stadt, und doch verabschiede ich mich. Sie ist mir vertraut und doch abweisend majestätisch. Ich kann es nicht beschreiben, der Blick hat etwas magisches an sich. Witzigerweise Natur pur, nicht von Menschenhand, sondern wie der Blick auf die Gran Canyon Berge. Die Stadt ist menschenleer, das Auge empfindet Menschenleere, unberührtes Köln. ich kann mir nicht vorstellen, daß da jetzt ein Köbes rumrennt, oder ein Schramma, oder ein Meissner, vielleicht der schon eher. Nein, die Stadt lebt, der Stein lebt, der Rhein lebt, die Schiffe leben, die Wolken leben, aber ohne Menschen. Der Dialog von mir zu Köln wird direkt zu Köln geführt, ganz ohne Menschen. Ich und der Dom, ich und der Rhein, ich und das Messegelände, ich und die Brücke, ich und mein Auto, ich und mein Tacho, denn der Starenkasten kommt gerade näher. Aber der hat den Schrammabeutel über und steht mehr da wie ein Marterl. Erinnerungsposten für Verkehrssünder.
Eine Zeitlang habe ich den Dom jeden Morgen fotografiert. Ich sah mich berühmt werden. Dirk Kranefuss gibt sich bei einer Dom-Vernissage die Ehre. Zwanzig Jahre lang überquerte er die Rheinbrücke bei Köln und machte jeden Tag ein Foto. An dem schier unübersehbaren Oeuvre mit über 5000 Fotos erkennen Sie seine Besessenheit, seine Leidenschaft (an sich ist er ja nur ein bißchen bekloppt, aber Künstler dürfen das). Sehen Sie die verwackelten Schnappschüsse, den sich ständig verändernden Dom. Sehen Sie, wie die Häuserzeilen abrupt wegkippen und die Sicht auf den grandiosen Rhein freigeben. Das mit dem Quecksilber werde ich in meiner Rede besonders hervorheben, vielleicht tränt dabei mein Auge.

Also, ich habe es wirklich gemacht, aber nur ein halbes Jahr und nicht jeden Tag. Und wirklich spannend war die Vorbereitung. Mal lag der Fotoapparat auf dem Beifahrersitz, mal hatte ich ihn zwischen die Beine geklemmt, mal verhedderte ich mich am Tragriemen, mal war er nicht an, mal tat er es auch so nicht, mal war ein LKW neben mir, und das alles bei Tempo 100. Einfach freihändig geschossen, durch die Scheibe. Mancher Autofahrer muß einen Mordsschreck bekommen haben, war ich ein Terrorist? Aber die Fotos, die waren ziemlich gut, und die Stimmung darauf auch, immer wechselnd, immer anders (etwas anders manchmal, ganz anders häufiger). Dann wurde mir die Minolta geklaut und ich machte es mit der Ixus. Aber die ist lange nicht so gut, mehr was für Unfallstellensicherungsfotos, also gab ich meine Besessenheit auf. Mir juckt es immer noch in den Fingern, darum brauche ich unbedingt eine neue Spielgereflex.

Es ist immer wie tief Luft holen, das Rheinpanorama, wie Urlaub, Aufbruch, Reise, Fernweh. Es ist ein bißchen wie eine Droge. Nach der Rheinüberquerung noch ein bißchen high. So kann der Tag beginnen.

Aber Moment, ich bin noch nicht fertig mit meinem Lieblingsplatz. Die Rückfahrt kommt ja noch. Genauso grandios, doch ganz anders.

Denn man nähert sich dem Dom von Olpe aus tief kommend und dann sieht man den Dom fast zum Anfassen frontal von vorn. Meint man, es ist aber von hinten, also genau von Osten, nur die Perspektive und Entfernung drückt das Kirchenschiff unter die beiden mächtigen Türme und man schaut buchstäblich zu ihnen empor. Dann aber macht die Autobahn eine riesig lange Rechtsschleife und man entfernt sich unglaublich schnell vom Dom, so daß er beim Auffahren auf die Brücke richtig klein wirkt. Trotzdem, da ich dieses Panorama meist abends sehe, hat es noch mehr Lichtwucht als morgens. Im Sommer sehe ich Riesenfeuerbälle der untergehenden Sonne, manchmal mitten durch die Türme, im Winter den Mond im nachtblauen Himmel über graubraun erleuchtetem Dom, das Rheinufer ein Lichterketten-Perlenband, wie ein Adventskalender, fast kitschig schön. Manchnmal wie eine Filmkulisse. Mein Köln.