Während andere ordentlich studierten, zog ich es vor, meine Scheine im Melbbad zu machen.
Jeden Morgen um 10 Uhr betrat ich „mein“ Melbbad, meine Wirkungsstätte! Hatte die Badehose schon unter den Jeans an - das ersparte die Umkleidekabine - und breitete mein Handtuch nah am Zaun auf der kleinen Wiese hinter den Startblöcken fein säuberlich aus, Schuhe und Jeans gefaltet über den parallel ausgerichteten Tennisschuhen. Dann musterte ich wohlwollend meine Badetuchnachbarn zur Rechten und zur Linken, unscheinbare Spießer, doppelt so alt, aber erstaunlich - mit den gleichen Angewohnheiten wie ich.
Zum Auftakt ging ich zu den Startblöcken, tippte einen Zeh ins Wasser, duschte noch einmal kurz kalt ab, um mich dann vom Startblock in das spiegelglatte Wasser zu stürzen. Ich war gut drauf, damals, und tauchte häufig die ganze Länge des Schwimmbads durch.
Wenn Frauen da waren, legte ich noch einmal eine halbe Länge Butterfly ein und ging dann in den Kraul über, um zu kaschieren, dass ich nicht mehr konnte.
Ich war wirklich gut drauf, damals. Ein kleiner Schwatz mit dem netten blonden Bademeister, der sich anerkennend über meine Schwimmleistungen äußerte, und dann döste ich erst einmal in der Morgensonne, bis in der Regel mittags meine ersten Kommilitonen erschienen. Sie und ich warteten natürlich mehr auf das Auftreten der Kommilitoninnen, die ebenfalls mehr oder minder spärlich und schick gekleidet ins Melbbad kamen.
Da war die nette Sylvia mit den wunderbar langen seidigbraunen Haaren, deretwegen sie nur vorsichtig im Wasser umherschwamm, da war die bemerkenswerte Monika, mit dem übergroßen Busen, dessentwegen sie schon mal von Bewunderern ein Eis ausgegeben bekam oder Worte wie „nicht zu fassen“ im Vorübergehen.
Da war die heisse Birgit (Pamela Anderson war nichts dagegen), bei deren Erscheinen die Sonne aufging und die flirrende Luft nochmal um 3 Grad heißer wurde und die ihr Handtuch immer am Beckenrand ausbreitete, wo sie von allen am besten angeschwommen werden konnte. Obwohl in festen Händen eines Mediziners setzte sie sich sehr zu meinem Entzücken manchmal auch auf mein Fahrrad, um sich nach Hause radeln zu lassen. Und da war die immer freche Uschi, mit der ich schon häufiger nachts zum Nacktbaden über den Zaun des Melbbads geklettert war und für die ich aus Liebe auch nachtfeuchtes Gras in Kauf nahm.
Aber meist alberten wir im Wasser herum, ich spielte den adligen Nichtschwimmer, der mit den Brustwarzen eine Handbreit über dem Wasser oder den Schwimmbauer, wo stattdessen der Hintern immer eine Handbreit über dem Wasser ist. Oder wir unterhielten uns auf der Wiese stundenlang über Gott und die Welt, also das, was am nächsten Tag schon wieder vergessen ist.
Nachdem ich so schon mehrere kleine Scheine absolviert hatte, beschloss ich eines Sommers, den großen Melbbadschein zu machen. Da ich gerne tauchte, ließ ich öfter die Luft ab und ließ mich rücklings auf den Boden des Schwimmbeckens absinken. Meine am Beckenrand sitzenden Freunde fanden das ganz unterhaltsam und schlugen vor, den Bademeister (den netten blonden) reinzulegen. Als er sich unserer Gruppe auf seinem Rundgang näherte, ließ ich mich auf den Boden gleiten. „Gar nicht schlecht“, sagte er, „ich wäre beinahe drauf reingefallen, wenn deine Freunde nicht so gelacht hätten“.„Aber“, lachte er, „mein Kollege (der blöde schwarzhaarige), der ist immer so wasserscheu, bei dem kannste´s ja mal versuchen“.
Also, wir verabredeten, dass er den nächsten Rundgang mit seinem Kollegen zusammen machen würde.Als ich die beiden heranschlendern sah, ließ ich mich wieder auf den Boden gleiten, auf den Rücken, die Arme wasserleichengerecht ausgebreitet. Dort wartete ich. Ich war erstaunt, wie schnell ich nach oben gerissen wurde.
Als ich den Meister gespielt erstaunt anschaute und die Gruppe vor Lachen nicht mehr konnte, merkte er, was los war und platzte vor Wut. „Sie verlassen sofort das Schwimmbad“ brüllte er mich an. Ich entzog ihm meinen Arm: „Kann man denn hier nicht einfach in Ruhe tauchen?“ „Sie verlassen sofort das Schwimmbad“ brüllte er wieder, aber schon etwas schwächer, denn aufgrund meiner Frage sah er seine Chancen für die Durchsetzung schwinden. So ließ er mich widerwillig im Wasser zurück.
Kurze Zeit später schilderte mir sein Kollege den Ablauf. Der Schwarze hätte mich im Wasser liegen sehen und gerufen, da unten liegt einer. So schnell hätte er seinen Kollegen noch nie Badeshorts, Badeschlappen und weiße Bademeistermütze ausziehen und ins Wasser springen sehen. An sich wäre das ja ganz witzig gewesen, als er aber den Schrecken im Auge seines Kollegen gesehen hätte, wäre ihm doch das Lachen vergangen. So etwas machen wir doch lieber nie wieder, sagte er, und daran habe ich mich auch gehalten.
Obwohl ich meinem Retter in der nächsten Zeit aus dem Weg ging, tat es mir doch sehr leid, und ich bewunderte nur noch auf ewig seine Leistung, mich mit Badeshorts-, Badeschlappen- und Weiße-Bademeistermütze-Ausziehen so schnell aus dem Wasser geholt zu haben.