Dienstag, 1. Februar 2011

Amy Chua - Tiger Mother oder Black Swan

Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie Kinder erzogen werden und wie Lernen vermittelt wird, aber über eins kann man nicht streiten: die Methode der chinesischen Amerikanerin ist äußerst erfolgreich. Wir mögen darüber jammern und lamentieren, sie als kalt und grausam anprangern, die Roboter produziert oder Selbstmörder…, der Erfolg gibt ihr recht.

Und darum ist Amy Chua, die Juraprofessorin der Yale University auch so stolz. Sie weiß es und sieht es, am täglichen Unterschied von ihren Kindern zur westlichen Umwelt. Mit Drei Sartre lesen und mit Zwanzig fünf Sprachen sprechen und in Konzerte gehen: als Spieler, nicht als Zuhörer.

Das Buch schlug ein wie eine Bombe, in den USA, und auch bei uns. Aus ganz einfachen Gründen:

Der erste Grund: Weil wir unser Leben genießen und Spaß haben wollen, sollen auch unsere Kinder Spaß haben und nur mit Freude lernen, nicht mit Drill und Zwang.

Der zweite Grund: Wir hatten nichts gegen die chinesischen Methoden, als sie sich mit unmenschlicher Energie auf Garküchen und Billigproduktion gestürzt haben. Wir profitierten von billigen IPhones und T-Shirts. Beim Sport sahen wir das nicht mehr so entspannt. Und jetzt stürzen sie sich auf unser ureigenstes Feld, auf Bildung und Kunst. Das einzige, wo wir uns dem Rest der Welt noch überlegen fühlen.

Der dritte Grund: Weil wir wissen, daß der Erfolg ihnen recht gibt. Der Aufschrei ist deshalb so groß, weil wir uns bewegen müssen. Das wollen wir nicht. Wir wollen festhalten am komfortablen Lebensstil und Lebensgefühl. Wohlstand und Sicherheit aber haben sich dramatisch verändert. Insofern müssen wir uns verändern.

Mein Großvater konnte Latein, Griechisch und Hebräisch. Mein Vater noch Latein und Griechisch. Ich nur noch Latein. Noch im hohen Alter konnte mein Großvater große Teile von Homer und Cicero auswendig, mein Vater nicht mehr ganz so viel, während ich mit „Andra Moi Ennepe Ruhrtal“ Eindruck machte. Warum war das so? Mein Grossvater wurde noch mit Drill und Disziplin erzogen. Meinem Vater zerriss er einmal wegen eines Rechtschreibfehlers das ganze Schulheft, und er mußte alles auf der Stelle neu schreiben. Von mir wurde das nicht mehr verlangt.

Ich schaue etwas wehmütig auf die alten Zeiten zurück. Denn Bildungsreform nach dem Krieg hieß vor allem, den Standard zu senken. Auch Arbeiterkinder sollten Abitur machen, hieß es. In Wirklichkeit war es reine Wohlstandsbequemlichkeit. Wozu sollte man sich anstrengen. Keiner hungerte, jeder kriegte Arbeit. Wir protestierten sogar gegen den Wohlstand. Nicht nur an die Schüler stellten wir weniger Ansprüche, auch an die Lehrer.
Dem Lehrer wurde der Rohrstock weggenommen und der Schüler antiautoritär erzogen. Er durfte lernen, was er wollte. Und wenn die Eltern ihre Ruhe haben wollten, wurde das Kind vor den Fernseher gesetzt.

Die Anforderungen wurden so stark heruntergeschraubt, daß Schüler im elften Jahr in die USA gehen konnten und keine Nachhilfe brauchten, wenn sie in die Zwölf zurückkamen. Gerhard Schröder hätte die Lehrer nie als „faule Säcke“ beschimpft, wenn da nicht etwas drangewesen wäre.

Was sich in der Schule abspielte, sahen wir dann im wirklichen Leben wieder. Die Politiker und öffentlichen Verwaltungen lassen sich alle Zeit der Welt. Strassenrückbau, Tempo 30 und die Vorfahrt des öffentlichen Nahverkehrs an Ampeln, so werden die Schnellen verlangsamt. „Vor Ihnen könnten 60 PKW fahren“ prangt auf den Bussen. Meist leer, aber hinter ihnen warten 60 PKW.

Allein die Genehmigungsverfahren eines Bahnhofs laufen über Jahre, während in China ganze Stadtteile entstehen. Das mag auch damit zusammenhängen, daß ein Großteil der Politiker Lehrer ist.

Auf unseren Gymnasien bleibt keiner mehr sitzen, machen alle das Abitur und überschwemmen die Unis mit 400.000 Abiturienten pro Jahr, 40 Prozent aller Schulabgänger. Die Universitäten wissen sich ausschließlich durch Studienabwehr und undurchsichtige Prüfungskriterien zu helfen. Gerecht ist das nicht, aber ein Akt der Notwehr, damit in Zukunft nicht Akademiker unsere Mülltonnen leeren.

Besser wäre es, die Auslese nicht den Universitäten zu überlassen, sondern die Anforderungen in der Schule bereits so hoch anzusetzen, daß nur die Schüler mit den besten Fähigkeiten zugelassen werden. Heute jedoch kann ein zu großer Teil der Schüler nicht richtig schreiben und rechnen und kriegt beim Wechsel in Unis und Privatindustrie Nachhilfe.

In diese Lücke stösst Amy Chua. Sie drillt ihre Kinder, damit sie in dieser nicht so lustigen Welt Erfolg haben. Man mag es gar nicht hören: auch mit Lebensfreude!

Ich meine, wir sollten Frau Chua dankbar sein, daß sie uns rechtzeitig die Augen öffnet. Jahrzehnte lang haben wir unserer eigenen Entschleunigung ungerührt zugesehen. Das kann so nicht weitergehen.

Wir sind ja schon auf dem Weg: Dieselbe Mutter, die bei Amy Chua weinend das Dinner verläßt, geht anschliessend in den „Schwarzen Schwan“, wo Nathalie Portman sich selbst unmenschlich quält, um es zu wunderbarer Perfektion zu bringen. Helicopter Parents fahren ihren Nachwuchs in mächtigen SUV´s täglich in die Internationale Schule und drillen sie mit Musik, Sport und Chinesisch fürs Leben. Ihre Chancen stehen gar nicht so schlecht, wo auch Genies zu 90 Prozent aus Fleiss bestehen.

Zwar will die NRW SPD unsere Zukunft mit Einführung von Gemeinschaftsschule und 9 Jahre Abitur gerade wieder entschleunigen, aber das geht vorüber.