Dienstag, 8. Februar 2011

Mubarak – too big to fail

Ewigkeiten ist es schon her, die „Jasmin Revolution“. Tunesien hat seinen Diktator Ben Ali in die Wüste gejagt. Die EU hat seine Konten gesperrt und ihn mit Haftbefehl via Interpol belegt. Frankreichs Aussenministerin, Michèle Aliot-Marie, die zu häufig in seinem Flugzeug geflogen ist, muß um ihren Posten bangen. Tunesien hat gezeigt: Verbrechen lohnt sich nicht. Die EU will auch zukünftig hart durchgreifen.

Keine vier Wochen später sagt der SPD-Europapolitiker Martin Schulz, "Ich bin für alle Maßnahmen, die dazu beitragen, ihm persönlich einen würdigen Abgang zu ermöglichen und den Übergang in Ägypten zu erleichtern."

Damit meint er natürlich nicht Ben Ali, den tunesischen Diktator, sondern Mubarak, den ägyptischen Diktator.

Man kann jetzt schweigen und denken, die Welt ist so und war schon immer so. Willst Du derjenige sein, der den ersten Stein wirft, wo wir doch alle im Leben so viele Baustellen gleichzeitig haben. Hat er nicht irgendwo recht, dieser Schulz, mit seiner Absicht, Schlimmeres zu verhindern. Realpolitik nennt man das, oder?

Machten wir bei Hitler, Stalin und Mao.

Machen wir bei Abdullah al Saud, Putin und Hu Jintao.

Doch je länger ich schweige, umso mehr sehe ich, daß Martin Schulz, dieser Vertreter Europas, Unrecht hat. Angefangen mit dem schlimmen Halbsatz „ihm persönlich einen würdigen Abgang zu ermöglichen“. Unsere Volksvertreter. Halten immer die moralische und ethische Flagge hoch. Jeden Tag. Aber betreiben jeden Tag Realpolitik, also eine unmoralische und eine unethische Politik, weil sie sich an den tatsächlichen Verhältnissen ausrichtet, und die sind so wie sie sind. Die Politik des Machbaren verbietet keine Utopien, sagen sie – und machen nichts. Denn wir haben sie ja hauptsächlich für´s Nichtstun gewählt.

Die Veruntreuung von Milliarden am ägyptischen Volk vorbei, die Mißachtung von Menschenrechten, das Foltern und Töten von Menschen, all das zählt nichts gegen einen würdigen Abgang. Während Schulz diese Worte ausspricht, läßt Mubarak in Ägypten tausende von Menschen foltern und töten, wie Souad Mekhennet dem ZDF berichtet. Mit jedem Tag, den Mubarak länger im Amt bleibt, werden zunehmend mehr Menschen gefoltert und getötet.

Das ist Realpolitik. Mit dieser Politik werden sämtliche Worte aus Deutschland und Europa unglaubwürdig. Freiheit, Demokratie, Menschenwürde, alles beliebige Begriffe. Frei verhandelbar auf den Terminmärkten für Erdöl und Lebensmittel. Leute wie Schulz und Co., also wir alle, machen uns zu Menschen ohne Charakter, denen Geld über alles geht.

Wir sollten in Berlin und Brüssel auf die Strasse gehen und mit dem ägyptischen Volk so lange demonstrieren, bis Mubarak in Den Haag auf der Anklagebank sitzt. Denn damit erkämpfen wir uns einen kleinen Teil der Würde zurück, die wir auf den Terminmärkten der Welt schon lange verkauft haben.