Dienstag, 28. Juni 2011

Steuervereinfachung von Paul Kirchhof - warum machen wir es nicht

28. Juni 2011.
Die FAZ veröffentlicht folgendes:

Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof legt einen Entwurf für ein neues, radikal vereinfachtes Steuerrecht vor. Er verspricht das sozialste Steuergesetz, das es je in Deutschland gegeben hat.

Von Manfred Schäfers, Berlin

Dick wie tausend Bierdeckel: Ginge es nach Paul Kirchhof, erführe das Steuergesetzbuch eine Entschlackungskur

In der Einkommensteuer, in der Mehrwertsteuer und in der Erbschaftsteuer sollte künftig jeweils nur noch ein Steuersatz gelten. Das schlägt der frühere Verfassungsrechtler Paul Kirchhof in seinem Entwurf für ein Bundessteuergesetzbuch vor. Bei der Einkommensteuer verzichtet er auf die Unterscheidung, ob jemand sein Geld als Arbeitnehmer, Selbständiger, Landwirt oder Gewerbetreibender verdient. Statt der bisher insgesamt sieben Einkunftsarten mit unterschiedlichen Rechtsfolgen gibt es bei ihm nur eine. Damit entfiele auch die Grundlage für die Gewerbesteuer. Die Kommunen erhielten zum Ausgleich das Recht, einen Zuschlag auf die Einkommensteuer zu erheben. „Wenn der Bürger mehr Leistungen will, dann zahlt er mehr“, erläuterte Kirchhof den dahinterstehenden Gedanken.
Bund und Länder beschränken sich in der Einkommensteuer auf einen gemeinsamen Steuersatz von 25 Prozent, der anders als bisher unabhängig von der Höhe des Einkommens gelten soll. Allerdings arbeitet Kirchhof mit einem Abschlag zugunsten der Geringverdiener. Bei der Mehrwertsteuer gibt es im Entwurf für ein Bundessteuergesetzbuch nur noch den Normalsatz von 19 Prozent, allerdings wird an der Steuerfreiheit für Mieten und Pachten festgehalten. Kirchhof will sogar alle Gesundheitsleistungen ausnehmen. Zum Ausgleich für den Wegfall des ermäßigten Satzes sollen Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger einen Zuschlag von 27 Euro erhalten. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer empfiehlt er einen einheitlichen Steuersatz von 10 Prozent für alle und auf alles. Nur für Unternehmenserben soll es eine Ausnahme geben, da der Betrieb pleitegehen könnte, wenn ihm das Geld auf einen Schlag entzogen werden müsste. Für sie soll es die Möglichkeit der Stundung geben, so dass die Eben zehn Jahre jeweils ein Prozent zahlen könnten.
„Sozialste Steuerrecht“ aller Zeiten
An den speziellen Verbrauchersteuern auf Heiz- und Kraftstoffe, Strom, Alkohol und Tabak hält Kirchhof fest. Die Einnahmen benötigt er, um einen aufkommensneutralen Reformentwurf vorlegen zu können, obwohl er den Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer von heute 45 Prozent um 20 Prozentpunkte auf den dann geltenden Einheitssatz von 25 Prozent senken will. Die durchschnittliche Belastung für kleine Einkommen wäre gleichwohl geringer. Das liegt zum einen am Freibetrag von 10.000 Euro für jeden Erwachsenen. Zu einem Grundfreibetrag von 8000 Euro für jeden Erwachsenen und jedes Kind kommt bei Kirchhof eine Vereinfachungspauschale von 2000 Euro für all diejenigen hinzu, die keine höheren Erwerbskosten nachweisen. Außerdem enthält sein Gesetzentwurf sogenannte Sozialausgleichsbeträge. Sie schmälern ebenfalls das zu versteuernde Einkommen.
Von den ersten 5000 Euro, die über dem Grundfreibetrag liegen, werden nur 60 Prozent berücksichtigt, von den nächsten 5000 Euro nur 80 Prozent. Wer allein ist und 20.000 Euro verdient, hätte daher alles in allem nur 1750 Euro Steuern zu zahlen. Wer 2 Millionen verdient, 496.750 Euro. Trotz gleichem Steuersatz gibt es damit eine höhere Belastung steigender Einkommen (Progression): Der Spitzenverdiener käme auf einen durchschnittlichen Steuersatz von 24,84 Prozent, während der Geringverdiener auf 8,75 Prozent käme. „Das ist das sozialste Steuerrecht, das es je in Deutschland gegeben hat“, wirbt Kirchhof für sein Konzept. Verlierer sind nach seinen Worten alle, die von den bisher 435 Ausnahmen profitierten. Allerdings sollen die Bürger weiterhin steuerfrei Mittel für ihre Zukunftssicherung etwa zur Altersvorsorge zurücklegen können.
Kirchhof verspricht keine Schwierigkeiten
Kirchhof strebt zudem mit einer neuen Terminologie auch das Aufgehen der Körperschaftsteuer in der Einkommensteuer an. Jedes Unternehmen wird bei ihm zur steuerjuristischen Person, die ebenfalls „abschließend“ 25 Prozent Steuern zahlt. Die Dividendenempfänger kassierten damit ihr Geld steuerfrei, da es schon einmal wie Arbeitseinkommen an der Quelle belastet würde. Bisher zahlen Kapitalgesellschaften 15 Prozent Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer, außerdem unterliegen die Dividenden der Abgeltungsteuer. Der Steuerjurist bestreitet, dass es durch die Neuregelung Probleme mit grenzüberschreitenden Steuerfällen geben kann. Damit rücke Deutschland eher an die Praxis der anderen Länder heran. Man habe zudem die Doppelbesteuerungsabkommen geprüft. Es werde keine Schwierigkeiten geben, versichert Kirchhof.
Auch in der Umsatzsteuer befürwortet er eine Umstellung. Das System des Vorsteuerabzugs auf jeder Handelsstufe hält er für zu kompliziert und missbrauchsanfällig. Er schlägt vor, die Umsatzvorgänge von Unternehmer an Unternehmer gänzlich von der Umsatzsteuer auszunehmen. Zudem sollten nur die Zahlungsvorgänge besteuert werden, nicht das Verschicken der Rechnung. Kirchhof gesteht zu, dass die Kosten seiner Reform für den Staat nur schwer zu kalkulieren sind. Dem Finanzminister will er die Möglichkeit geben, zur Sicherheit anfangs einen beispielsweise um 3 Prozentpunkte höheren Einkommensteuersatz zu erheben. Doch sollte er dann „mit seinem guten Namen“ garantieren, dass er ein Mehraufkommen vollständig an die Steuerzahler zurückgebe werde.