Dienstag, 16. August 2011

Charlotte Roche „Schoßgebete“

Ich habe einen Fehler gemacht. Mich von hymnischen Kommentaren und von meiner Neugier verleiten lassen, das Buch zu lesen. Vielleicht auch deshalb, weil ich die „Feuchtgebiete“ links liegen liess.

Nach den ersten 50 Seiten war ich erst einmal geplättet ob der endlosplätschernden Schilderung der inneren Befindlichkeiten von Sex und Lust am Unterleib. Dann schlug mein Seismograph jubelnd aus über Roches Schilderung über die Säuberung ihres Po-Lochs. Ich stellte es auf die Ebene von James Joyce und Weltliteratur, weil es eine dem Entwicklungsroman typische Lebenshilfe für Anal-phabeten war. Körperkultur und Zivilisationsprozess in einem. Dafür hat sich das Buch schon gelohnt.

Und es steigerte sein Niveau noch mit der Schilderung des Leidensprozesses von Roche und der Trauerarbeit über den Tod der drei Brüder und die Verkrüppelung der Mutter.

Dann aber sank es wieder in Mittelmaß herab. Zuviel Geplapper, zu sehr an der Oberfläche, eben Pausenfüller zwischen zwei CDs. Charlotte Roche war eine tolle VIVA-Moderatorin. Mit ihrer Art warf sie alle Interviewpartner um. Dieser unkomplizierte Redefluss begeisterte ihr Publikum. Aber es fließt zuviel Wasser, plätschert zuviel Belangloses dahin, auch in ihrem Buch, so daß man sich fragt, ob ihr Problem meines ist.

Einerseits finde ich es toll, daß sie mit ihren Puffbesuchen meine geheimsten Träume verwirklicht. Aber andererseits bin ich not amused, daß sie sie ans grelle Licht holt. Im Gegensatz zu ihr will ich sie nicht verwirklichen.

Meine Reaktion ist da eher altmodisch: wenn ich aufs Klo gehe, mache ich die Türe zu und das Fenster auf. Und Sex vor den Eltern und den Kindern halte ich auch für tabu. Bürgerlich halt. Ich lese bürgerliche Bildungsromane. Die haben eine Lebenshilfe, die ein Dieter Bohlen und JB Kerner mir nicht geben können.

Leider, leider, ich finde Charlotte Roche toll, sophisticated, ich bewundere ihren Todesmut, aber der Qualität ihres Buchs stehen zwei Probleme entgegen: ihr gärender Unterleib und ihr übersteigerter Exhibitionismus. Beides hat sie (noch) nicht im Griff.

Ich dachte, das wäre mein Generationenproblem, doch meiner Tochter gefiel das Buch auch nicht.

Darum pflichte ich Alice Schwarzer bei, die sich in ihrem offenen Brief an Charlotte richtet:

"Okay, damit sollte eine starke Frau leben können. Eines allerdings wäre fatal: Wenn deine Leserinnen deine verruchte Heimatschnulze über Sex & Liebe für ein Rezept halten würden. Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem."