Mittwoch, 4. April 2012

Grass Gedicht - Grass Roots

Das kann ja nichts werden, dachte ich, denn ich mag Grass nicht, aber dann las ich das Gedicht und fand es gut. Etwas schwülstig, etwas zu pathetisch, etwas zu wichtig, aber so ist der Grass, den ich deshalb nicht so mag:

Aber in der Sache richtig. Mehr als richtig. Mehr als überfällig.

Was mich nur ärgert:
Da schreiben Tausende, jeden Tag, Artikel und Gedichte über das schreiende Unrecht, was Israel mit Unterdrückung und Folter der Palästinenser und unrechtmäßiger Landnahme anrichtet. Diese Tausende sind nicht nur Antisemiten, nein, Tausende von Juden, die fassungslos sind, daß ihre Landsleute morden und foltern können. Da kriege ich Woche für Woche Artikel von Felicitas Langer, Uri Avnery, Gideon Levy, Amira Hass, Eva Hecht-Galinsky, Renate Wolfson, Linda Benedikt und Daniel Barenboim, die alle den Bach runtergehen, im Äther verrauschen, im Boden versinken und kein Stein wirft Ringe, keine Blätter rauschen und kein Staub wirbelt auf. Nein, es ist wieder einmal nichts gewesen. Die offizielle Politik sieht weg, hört weg und tut, als sei die Welt in Ordnung.

Da kam unser Lichtpräsident Obama und forderte Siedlungsstopp und die Zweistaatenlösung – öffentlich in Kairo. Und Hillary Clinton drohte die Wahl in New York zu verlieren, schon wurde diese Forderung wie ein schmutziges Kassiber heruntergeschluckt.

Es ist schon sehr bezeichnend, daß die New York Times es nicht gewagt hat, das Gedicht von Grass zu veröffentlichen.
Und da meinen die Gutmenschen, Grass verwechsele Ursache mit Wirkung? Israel nur Opfer und nie Täter? Und Grass einer der sagt, er sei Freund der Juden, nur um so stärker draufzuhauen?

Das Ärgerliche:
Seit zig Jahren wird Israel in allen Umfragen als Bedrohung Nummer 1 für den Weltfrieden angesehen, in der gesamten westlichen Welt. Und da schreibt Grass drüber – und nur deshalb wird es zur Kenntnis genommen. Mehr noch, nur deshalb wird es geleugnet. Von den Offiziellen, von den Hofberichterstattern der Offiziellen (Schirrmacher, ha ha), von den Politisch Korrekten: Israel ist gut, darum darf es die Bombe haben, Iran ist böse, darum darf es die Bombe nicht haben.

Die Büchse der Pandora wurde noch nicht einmal ansatzweise geöffnet in dieser Diskussion – nur Grass hat das in dichterischer Freiheit getan und die Gefahr an die Wand gemalt, daß wir alle dann nicht mehr leben könnten.

Wir blenden aus, daß Israel ein Unrechtsstaat ist. Einer, der sich sein Land überwiegend unrechtmäßig erworben, erpresst und erkämpft hat, mit Mord und Totschlag, mit Vertreibung und Drohung. Allein schon diese unsägliche Mauer zeigt das, wie bei der DDR Zeichen eines sterbenden Staats: Nicht fähig zum Frieden, nicht willens zum Frieden. Selbst die Mauer steht in Israel auf gewaltsam abgepresstem Palästinensergebiet.
Und die Zweistaatenlösung, die Israel immer wie eine unerreichbare Mohrrübe wegzieht, wenn die Palästinenser danach schnappen wollen, ist ein Witz angesichts der hoffnungslos zersiedelten Westbank. Das Westjordanland ist wie ein todkranker Patient durchsetzt mit den Metastasen illegaler Judensiedlungen. (Klingt es für Sie korrekter, wenn ich von jüdischen oder israelischen Siedlungen spreche? Wenn ja, sind Sie auch nur ein verkappter Antisemit. Jedenfalls ist das herrschende Meinung eines Teils der Wortführer. Sie können also machen, was Sie wollen: irgendeiner wird Sie immer in die Ecke stellen oder in die Tonne klopfen wollen.

Wir blenden aus, daß Iran mit seiner antiisraelischen Haltung ja nicht allein ist. Der gesamte Nahe Osten, Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Libanon, Ägypten, Libyen, Marokko, Somalia, Sudan, Mali, Nigeria – und nicht zu vergessen Afghanistan, Pakistan bis hin zu Indonesien ist israelfeindlich. Was meinen Sie, was passiert, wenn Israel seine vor 6 Monaten von Amerika gelieferten 50 Bunkerbomben auf Iran wirft? Die USA wissen es nicht, und wollen es nicht, aber haben schon mal geliefert. Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht wissen, aber sind näher dran an dem Konflikt als Amerika. Dann vielleicht sogar mittendrin, wenn Merkel an ihrer unsäglichen Solidaritätsbekundung für Israel festgenagelt würde („right or wrong, my country“). Wir alle aber hoffen, daß unsere Merkel das nur so meint wie mit der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.

Was meinen Sie, was passiert, wenn der Nahe Osten wegen Israel brennt? Wenn hier kein Öl mehr ankommt? Wenn Nordafrika von Mauretanien bis Ägypten in Aufruhr gerät? Geübt haben sie ja gerade mal, gewonnen aber haben bisher nur die Islamisten. Was ist, wenn die Türkei mit hineingezogen wird, in den Aufruhr? Israel hat es ja gerade rechtzeitig geschafft, Erdogan als letzten Freund zu verlieren. Wird Erdogan dann vollends zum Islamisten und seine fünfte Kolonne in Deutschland gleich mit? Ach, ich vergaß, fünfte Kolonne ist not p.c., doch in den Zeiten, die dann anbrechen, wird das Wort p.c als erstes das Klo runtergespült, vergiß es, bei all den Massakrierten und Toten.

Dann hat Günter Grass recht mit seinem Erstschlag und uns als Fußnote und der vom Wahn okkupierten Region und seiner brüchigen Stimme und der letzten Tinte.

Es ist ja nur ein Gedicht.

Das Gedicht von Günter Grass Was gesagt werden muss

„Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“

„Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.“