Ich verlaufe mich regelmäßig auf der Suche nach St. Maria im Kapitol. Zu sehr ist das Altstadtgewirr des Severinsviertels durch große Strassen zerschnitten. Und man wundert sich: das soll ein Kircheneingang sein? Hinter der Stefanstrasse an Sexshops vorbei (erotisches Design in Leder & Gummi, Lack & Piercing) links in die Kasinostrasse (als halbgebildeter Roué denke ich an eine italienische Puffstrasse) ist just am Ende dieser Strasse ein unscheinbarer Hauseingang. Dann die erste Überraschung, hinter ihm öffnet sich rechterhand ein Kreuzgang und man genießt die erste Stille von Strassenlärm und der Einkaufshektik rastloser Passanten.
Dann geht man ein paar Stufen hoch, vorbei an grinsenden staufischen Löwen, und steht in einem hohen Raum, über dessen Ausmaße man nur staunen kann, erwartet man doch in Fortsetzung der kleinteiligen Altstadt eher eine Kapelle. Durch ein Ziergitter blickt man auf einen gewaltigen Lettner und bemerkt, daß dieser nicht das Ende der Kirche ist, sondern erst der Anfang, sage ich mal übertrieben. Aber ich will nicht vorgreifen, denn der große rechteckige Raum bietet schon viel Sehenswertes. Darum sollte man auch seine Neugier in Ruhe umlenken und andächtig nach vorn schreiten, um sich den Raum hinter dem Raum zu erschließen. Im Halbdunkel erkennt man, ungläubig ist an diesem Ort sicher die falsche Metapher, daß da noch Größeres ist, ein Labyrinth, welches sich als großer Drei-Konchen-Raum erweist, Kleeblatt-Raum ist wohl die bessere Beschreibung. Und ich erinnere mich an das echte Kapitol in Rom, wo ich ähnliche Ruinenreste einer Kleeblatt-Apsis sah, auch ungläubig, daß die Römer schon so riesig bauten. Überhaupt fühle ich mich in diesem Raum an der italienischsten Stelle von Köln und schweife ab, wie eng überhaupt die Verbindungen von Rom und Köln sind.
Länger will ich diesen Raum gar nicht beschreiben, denn zu viel Begeisterung weckt zuviel Erwartungen. Achten Sie nur bei den vielen Marien in dieser Kirche auf eine Maria im Dunkel der Apsen. Dort legen Hausfrauen ihre Vorgartenäpfel in der Hoffnung auf weitere gute Ernten ab, und es stört mein Weltbild nicht, wenn ich meinen Apfel von Aldi mit dazulege.
Auf dem Rückweg zum Ausgang stoßen Sie dann linkerhand auf eine Goldene Pforte, wunderbar mit Bildern aus der Bibel geschnitzt, an Florenz erinnernd, das alte Kirchentor, zu seinem Schutz ins Innere des Raums gestellt.
Und lugt der Postkartenverkäufer um die Ecke, um nach dem rechten zu schauen, dann sprechen Sie ihn ruhig an, wenn Sie noch etwas Zeit entbehren können, er ist ein wandelndes Lexikon, ein Original. Sowas finden Sie nur in Köln, und wenn Sie jetzt noch kein Köln-Fan sind, dann macht er sie dazu. Dieser letzte gebildete Sohn aus der Ahnenreihe von Tünnes und Schäl entblättert vor Ihnen die gesamte zweitausendjährige Geschichte des hilligen Kölns, um im Sumpf des heutigen Klerus und der anhängenden Politikerkaste zu enden. Noch Fragen? „Ich habe um die Ecke geguckt, weil die Leut hier klauen, was nicht niet- und nagelfest ist. Stellen Sie sich vor, kommen´se mal mit, neulich ham´se doch den Finger von dem Jesus aus diesem Grablegungsbild abgebrochen.“ Und dann erzählt er Ihnen, daß er sein 15semestriges Betriebswirtschaftsstudium abgebrochen und jetzt diese Stelle angenommen hat, um sich ungestört dem Studium der Kunstgeschichte widmen zu können. Woanders wäre dieser Mensch glatt Professor, nicht so in Köln, da laufen tausende dieser Spezies herum. Aber, wenn Sie ihn sehen wollen, beeilen Sie sich, der steht nicht so lange wie dat Maria im Kapitol.