Ich musste dringend zum Friseur, aber meine Friseuse war weg. Umgezogen. Ich überlegte, ob ich ihr nachreisen sollte, damit sie mich stutzen und meinen Hinterkopf wie immer an ihren mütterlichen Busen legen konnte. Wir verstanden uns wortlos und immer zufrieden stieg ich nach erfolgter Trimmung aus ihrem Sessel.
Jetzt war sie nicht mehr da und ich fühlte mich verlassen. Wohin denn nur, wenn nicht zu ihr – musste ich denn meinen Kopf wirklich wieder auf den öffentlichen Haarmarkt werfen? Ich zögerte, zögerte so lange, bis meine Haare eine unerträgliche Länge annahmen und ich mich unglücklich fühlte. Nachdem ich dann den ganzen Abend neben einem sauber geschorenen Freund verbracht hatte, stand für mich fest: jetzt gehst du zum Friseur.
Also begab ich mich zum nächsten Warenhausfriseur, sind ja nicht die schlechtesten. Dienstag und Donnerstag alles für 11 Euro stand da, und zufällig war es Donnerstag. Der Laden war voll. Einmal Haare schneiden, sagte ich zur Dame am Tresen, komme ich sofort dran? Sie können warten, sagte sie, eine Stunde müssen Sie aber schon mitbringen. Dann bis später, sagte ich.
Was tun. Morgen zum Friseur oder jetzt? Ich entschied mich für endlich einmal konsequent sein, also jetzt. Mal um die Ecke schauen, da gab es doch drei Friseurläden oder noch mehr. Ich passierte den Türken im Eckladen. Er stand vor der Tür in der Sonne und schaute gewöhnungsbedürftig aus. Der dünne Mongolenbart, die hochrasierten Schädelflanken und oben so eine runde Matte, das war offensichtlich modern, aber nicht mein Ding. Ich schlich um ihn herum. Schneiden 13 Euro stand an der Tafel, wollte fast schon vorbei, dann ging ich doch rein. Kam auch sofort dran. Der Türke persönlich bediente mich. Alles runter, sagte ich, ganz kurz. Sechs oder neun Millimeter, fragte er. Ich hatte keine Ahnung. Na, nehmen wir lieber neun Millimeter, sagte er. Ich war einverstanden, ohne zu wissen warum, dachte auch nicht an gefährlichere Kaliber, denn schon machte er sich mit seiner Schermaschine über mich her wie ein australischer Schafscherer. Nicht, daß er mich anschließend schächten will, dieser Islamist, dachte ich, vielleicht war es doch ein Fehler, zum Türken zu gehen. Na, das Wetter ist ja wieder besser, rief ich ihm zu, was besseres fiel mir nicht ein. Ja, sehr schön, rief er zurück, dann war wieder Ruhe. Mühsam hielt ich ein kleines Gespräch aufrecht. Mehr noch aber interessierte mich seine Scherkunst. Oben ließ er etwas mehr stehen. Schon ziemlich ergraut, meine Haare, dachte ich, ob ich sie wohl mal schwarz färbe, so ein letztes Aufbäumen vor dem endgültigen Ende meiner Jugend, so wie Schröder? Mittelscheitel, fragte mein Türke, witzig mein Türke. Wie immer auf der linken Seite, erwiderte ich. Er kam mit dem Sprayflakon und sprühte mir meine „Matte“ oben ein. (Oh, Duftwässerchen, das kostet bestimmt schon ab 13 Euro aufwärts, dachte ich, warum nur habe ich den Preis nicht vorher festgelegt.) Er schnibbelte oben noch ein bisschen weg und legte das Haar dann seitwärts, entfernte den Halskrepp, fächelte mir die Haare vom Umhang und begann mit der Kür, dem Ausrasieren - mit dem guten alten Rasiermesser. Islamisten, zweiter Teil. Ich schaute in den Spiegel wie das Geiselopfer in die Kamera. Wenn Sie den Kaufpreis von, ich war schon bei über 20 Euro, nicht entrichten, werde ich Sie elegant enthaupten. Er cremte seine Hände ein und dann mein Gesicht, rieb es mit einem warmen Frotteehandtuch ab und entfernte mir mit federnder Klinge - mehr dem Lufthauch einer Feder - Koteletten, Nackenhaare und als Bonus noch einige bisher nie bemerkte Schläfenhaare. Ich war beeindruckt. Mir fiel der Witz des Geköpften ein, „ich hab ja gar nichts gemerkt“ und der Henker erwidert, „na, dann nicken se mal“. Mein Türke war aber noch nicht am Ende Er nahm einen langen Feuerzeugflammenwerfer, so einen Tannenbaum-Kerzenanzünder und brannte mir damit die Ohrenhaare weg, Feuerzauber wie bei Zirkus Roncalli, Tusch, Applaus. Und während ich sinnierte, warum es überhaupt nicht wehgetan hatte, kupierte er mir mittels aufgelegtem Kamm die überschüssigen Augenbrauen. Dann entfernte er mit Schwung den Schulterumhang und gab mich frei.
Was macht es, fragte ich an der Kasse und verstand 10 Euro. Zehn Euro, fragte ich vorsichtshalber nach. Zehn Euro sagte er und lächelte. Ich gab ihm zwölf und verabschiedete mich. Bis zum nächsten Mal, hörte ich mich sagen, wollte es gar nicht sagen, meinte es aber ernst. Türken sind doch die besseren Friseure.