Die Medien und der Fall Kachelmann
Hier ein Artikel von Harald Staun aus der FAZ, 28.3.10
und mein Vorwort:
homo homini lupo sunt
Der Verdacht
Von Harald Staun
Nach dem Haftprüfungstermin am vergangenen Mittwoch
28. März 2010
Elf Sekunden dauerte es, bis der Fernsehmoderator Jörg Kachelmann am Mittwochnachmittag einen Nebenausgang des Mannheimer Amtsgerichts verlassen hatte, den Hof durchquerte, kurz den Mundwinkel nach unten zog, von einer Journalistin die Frage gestellt bekam, „Wie geht's Ihnen?“, ein wenig lächelte, mit den Schultern zuckte, die Antwort gab: „Ich bin unschuldig, das ist alles, was ich im Moment sagen kann“, seinem Anwalt die Hand schüttelte und in einen grünen Polizeibus stieg, der ihn wieder in die JVA Mannheim brachte, zurück in die Untersuchungshaft.
Elf Sekunden, ein paar Gesten, ein paar Worte, keine neuen Erkenntnisse: Das reicht nicht, um aus der Geschichte, die womöglich gar keine ist, die Titelseiten für die folgenden drei Tage zu bestreiten. Könnte man glauben. Aber es reicht locker. Elf Sekunden, in Dutzende Standbilder zerlegt, das sind ganz viele kleine Kachelmann-Gesten, Kachelmann-Bewegungen, Kachelmann-Kommentare, ein ganzer Katalog von Kachelmann-Gesichtern. Für einen Journalismus, dessen wichtigstes Satzzeichen das Fragezeichen ist, ist diese leicht entflammbare Mischung aus Ausdrücken und Eindrücken eine viel wertvollere Ressource als jeder hölzerne Fakt. Und dort, wo der Lebenszyklus einer Geschichte früher einmal begann, bei einer Nachricht, ist er heute längst zu Ende.
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Vor dem Amtsgericht am vergangenen Mittwoch
Vor dem Amtsgericht am vergangenen Mittwoch
Die Bilder jener „medialen Vorführung“, die der Berliner Medienanwalt Christian Scherz später kritisieren wird (worauf das Gericht entgegnen wird, das Vorgehen sei mit Kachelmann abgestimmt gewesen), sie waren mehr als genug, um die mediale Spekulationsmaschine wieder auf Touren zu bringen, die schon seit Tagen von dem Verdacht angetrieben wurde, der Mann vom Wetterbericht habe seine Freundin vergewaltigt. Endlich gab es neue Bilder zur Untermalung der irrsinnigsten Psychogramme, neue Illustrationen für all die billigen meteorologischen Metaphern von Hochs und Tiefs und trüben Aussichten, neue Mienen zum bösen Spiel, das man mit dem populären Moderator treiben konnte, dessen bisheriges Leben jetzt nur noch als präkriminelle Karriere Bestand hatte.
Vielleicht verliebt
Schon in den Tagen vor dem Termin beim Haftrichter hatte sich die Berichterstattung mit atemberaubenden Analysen und pseudopsychologischen Interpretationen überboten. Wo Recherche nicht möglich ist oder, wie im belagerten Schwetzingen, dem Wohnort von Kachelmanns mutmaßlichem Vergewaltigungsopfer, mit dem dürftigen Detail endet, das heimliche Paar habe dort in einem italienischen Restaurant „einen verliebten Eindruck“ gemacht, bei Spaghetti mit Thunfisch und Oliven, Pinot Grigio und San Pellegrino, da entdeckten Journalisten ihre Leidenschaft für semiologische Deutungen, lasen für ihre Leser in Kachelmanns Biographie wie in einem offenen Groschenroman oder sparten sich gleich ganz, ihre Unterstellungen auf irgendeine Beobachtung zu stützen. Franz Josef Wagner, der Befindlichkeitskolumnist der „Bild“-Zeitung, schickte Anfang der Woche gleich zwei seiner unvermeidlichen Briefe an Kachelmann. Im ersten sprach er von unserer „Enttäuschung“, die deshalb so groß sei, „weil wir an seine Wettervorhersagen glaubten“, aber worüber er enttäuscht war, sagte er nicht: Darüber, dass jemand unter Verdacht gerät? „Verdacht ist wie in einer Mülltonne leben, man kriegt den Geruch nicht los“, schrieb er am Tag darauf und überlies es sicherheitshalber nicht den Gerichten, über Schuld und Unschuld zu entscheiden: „Der Verdacht ist seelisches Lebenslänglich“.
Natürlich muss man den Quatsch von Wagner nicht lesen, aber man musste schon einen sehr weiten Bogen um den Boulevard machen, um das Raunen nicht zu hören, das von ihm ausgeht. Die in der Regel skandalös seriöse Deutsche Presse Agentur veröffentlichte am Dienstag einen Artikel, dessen Autor es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht hatte, einen Strick aus Äußerlichkeiten und Antipathien zu drehen, nur mit der Sache durften sie nichts zu tun haben. Von Kachelmanns „zwiespältigem“ Ruf war dort zu lesen, welcher offenbar aus einer unheilbaren Berufskrankheit hervorgeht: „Wetterexperten haben das Problem, dass sie gehasst werden, wenn es regnet, und geliebt, wenn die Sonne scheint“. So ging es zeilenlang weiter, mit der Indizienkette aus „kleinen Merkwürdigkeiten“, die im Lichte des Verdachts ganz von selbst ihre verleumderische Wirkung entfalten: mit den schlechtsitzenden Anzügen, dem eigenwilligen Humor und dem „flaumartigen Gekräusel zwischen Nase und Kehlkopf“. Als es an einer Stelle um Kachelmanns Ehrgeiz und Hartnäckigkeit geht, schreibt der Verfasser: „Schon damals muss er mächtig gebohrt haben.“ Auf dieses Niveau kam selbst die „Bild“-Zeitung nicht runter.
Falsche Freundlichkeit
Der Vorteil derart schadenfroher Texte ist, dass man schnell erkennt, dass sie nicht nur schlecht geschrieben sind, sondern auch böse gemeint. Aber auf die Intention des Autors kommt es gar nicht an, die Dynamik der Unterstellung funktioniert mit umgekehrten Vorzeichen womöglich noch effektiver: Der „nette Herr Kachelmann“ etwa, über den die „Bild“-Zeitung am Freitag rätselte: „Kann man sich in einem Menschen so täuschen?“, ist sogar die viel dramatischere Figur, und dass man seinen Fall mit einer solchen Frage eher herbeischreibt als diskutiert, das wissen all jene, die sie in den öffentlichen Raum stellen, natürlich sehr genau. Die Frage aber, sie ist nicht nur dämlich, weil die Antwort logischerweise sein müsste: Ja, natürlich kann man das, in wem denn sonst? In einem vorbestraften Gewaltverbrecher? Das wäre ja eine irre Überraschung. Sie ist, natürlich in voller Absicht, falsch gestellt: Denn wer zum Teufel hat sich denn, nach dem bisherigen Erkenntnisstand, überhaupt getäuscht?
Welche Details aus Kachelmanns Biographie man in Zusammenhang mit dem Verdacht bringt, ist rückblickend völlig egal: im Zweifelsfall wird jede Freundlichkeit als Täuschung interpretiert. So fungieren dann auch die solidarischen Worte von Kachelmanns angeblicher Ex-Affäre Heike Nocker-Bayer, welche Kachelmann auf Bild.de als „sehr liebevoll und fürsorglich“ beschreibt und sich natürlich auch nicht vorstellen kann, „dass er ausrastet und austickt“, eher als Prolog einer Konversionserzählung. Als Indiz für seine Unschuld sind solche Charakterzeugnisse völlig untauglich, aber sie sollen ja auch nur den Grundton der Bestürzung verstärken. Damit das auch jeder kapiert, lässt man die Frau noch die Karikatur eines Arguments hinterherreichen: „Man sagt ja immer, Menschen, die tierlieb sind, sind auch lieb zu Menschen. Und Jörg mag Katzen über alles.“ Ja, sicher. Die deutsche Geschichte ist ja voller Belege für diese These.
Man darf all die Erklärungsversuche und Spekulationen, all das Munkeln und Hüsteln und Implizieren nicht einfach mit einer Kampagne verwechseln. Dieser Journalismus der Insinuation hat längst einen eigenen Namen verdient. Es geht ihm auch nicht um Parteilichkeit, was sich schon alleine daran zeigt, dass er auch gegen das vermeintliche Opfer ausschlagen kann, gegen eine Frau also, die natürlich auch erst einmal als unschuldig zu gelten hat, und nicht, wie das etwa der „Free Kachelmann“-Fanclub auf Facebook glaubt herausschreien zu müssen, als rachsüchtiges Weib oder gar als gefährliche Stalkerin.
Vor allem aber ist es letztlich absolut unerheblich, ob man die Person oder den Moderator Kachelmann für einen lustigen Zausel oder für eine ungepflegte Nervensäge hält. Es sei denn man vertritt tatsächlich die These, dass sich charakterliche Schwächen und gewalttätige Veranlagungen konsequent in wildem Bartwuchs oder dummen Witzen manifestieren. Dann allerdings ist man auch nicht mehr weit von den Theorien der Physiognomik oder Phrenologie entfernt, jenen diskriminierenden Wissenschaften, die Ende des 18. beziehungsweise Anfang des 19. Jahrhunderts versuchten, aus Gesichts- oder Schädelform Rückschlüsse auf seelische und geistige Verfasstheit abzulesen. Aber für große Teile der Berichterstatter scheinen tatsächlich noch die Konventionen jener Zeit zu gelten.
In seinem berühmten Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ hat der Soziologe Richard Sennett auf die Bedeutung hingewiesen, die die Entschlüsselung der geringfügigsten Äußerlichkeiten, „die zwanghafte Aufmerksamkeit für das Detail“ für die soziale Kommunikation der viktorianischen Epoche hatte. „Wer den Krawattenknoten oder das Tuch über dem Chignon nicht zu ,lesen' verstand, der konnte auch keine Gewissheit darüber gewinnen, mit wem er es auf der Straße zu tun bekam.“ Wer aber heute mit denselben detektivischen Methoden nach Offenbarungen charakterlicher Schwächen sucht, übersieht, dass die Sprache solcher Zeichen eine ganz andere Grammatik hatte, eine ganz andere Gültigkeit, in einer Zeit, in der Frauen, wenn sie überhaupt aus dem Haus gingen, ihre Köpfe in züchtige Hauben steckten.
Wie eindrucksvoll die Analyse der Körpersprache scheitern kann, das bewiesen vor allem jene Experten, die immer dann zu Hilfe gebeten werden, wenn die Ferndiagnosen selbst den schmerzbefreiten Boulevardpoeten zu abenteuerlich werden. In der Hamburger Morgenpost orakelte der Kriminalpsychologe Dr. Christian Lüdke Kachelmanns Lächeln sei ein „gequältes Lachen“, mit dem der „Sympathieträger“ nur seine Verunsicherung überspielen wolle, in der „Bild“-Zeitung war sich der Psychotherapeut Dr. Stephan Lermer sicher, der „Medienmensch“ zeige sich „in der Öffentlichkeit mit einem Siegerlächeln“ und sei „von seiner Unschuld überzeugt“, und auch die heruntergezogenen Mundwinkel signalisierten: „Ich glaube weiter fest daran, dass alles gut wird.“ Im RTL-Magazin „Punkt 12“ deutete die nicht näher ausgewiesene Körpersprache-Expertin Ulrike Knauer dieselbe Geste als Verkörperlichung eines eher schlechten Gefühls, der abrasierte Bart dagegen sage aus „Ich kann keinem was zuleide tun“, will aber gleichzeitig, so wiederum Lermer, „entschieden wirken“. Einig schienen sich die Spekulanten nur in einem Punkt zu sein: Kachelmann ist ein Medienprofi. Ein Meister der Verstellung. Jemand, der weiß, wie man seine Mimik strategisch einsetzt. Was sie aber offensichtlich nicht dazu veranlasste, der Authentizität seiner Gesichtsausdrücke zu misstrauen.
Es ist beispiellos, wie sich in der vergangenen Woche ein Ton in die sogenannte Berichterstattung gemischt hat, der nicht einmal dann angebracht wäre, wenn Kachelmann letztlich angeklagt und verurteilt würde - erfahrungsgemäß kommt das Strafgesetzbuch mit der Sanktionierung von Verbrechen ganz gut alleine zurecht. Die traurige Pointe der medialen Gerichtshöfe aber lautet erschreckend oft: Völlig egal, wie die Sache ausgeht, der Mann ist sowieso erledigt.
So blind für die Performativität seines eigenen Sprechakts muss man erst einmal sein. Was sich als Bedauern ausgibt, ist selbst das Urteil.