Ausgerechnet der Google-Chef Schmidt, der ansonsten die völlige Freiheit im Netz predigt, forderte: Erwachsene sollten das Recht haben, ihren Namen zu ändern - um sich der Jugendsünden im Netz zu entledigen. Und er sagte: "Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft versteht, was passiert, wenn alles verfügbar ist, man alles wissen kann und ständig alles von jedem gespeichert wird".
Er hat recht.
Schon jetzt müßte uns die Erkenntnis, was alles über uns bekannt ist, die Schamröte ins Gesicht treiben. Ich habe nichts zu verbergen, darum kann der Staat alles über mich erfassen, was er will, ist die gängige Antwort. Und das ist falsch.
Wer das sagt, will möglichst wenig über sich selbst wissen. Am liebsten gar nichts.
Fangen wir mit dem Harmlosesten an: Sie sind ein sich stets an alle Gesetze haltender Mensch und erfreuen sich des Lebens. Die Welt ist für Sie in Ordnung. Sie baden in Wohlgefühl und wollen alle daran teilhaben lassen. Sie zahlen pünktlich ihre Steuern und Sie gehen zu Sportveranstaltungen, Konzerte und engagieren sich in Kirche und Verein.
Durch die rasante Entwicklung des Internets sind Sie jedoch bald in der Lage, an allen Orten zu erkennen, mit welchen Menschen Sie Sportveranstaltungen und Vereine teilen. Über Gesichtsscanner erkennen Sie die Identität Ihres Nachbarn und wissen, wo er wohnt, wie oft er im Gefängnis gesessen hat und was sonst noch. Sie können auch nachlesen, welche Morde er im Detail begangen hat, ob er homosexuell ist oder Vergewaltiger. Natürlich nicht Ihr direkter Nachbar. Aber der drei Reihen vor Ihnen links auf Platz 10, und zwei Reihen hinter Ihnen, und da und da und da.
Haben Sie noch Spaß am Liebesfilm, den Sie gerade sehen?
Spielen Sie das mal durch. Ich glaube, Sie erinnern sich, daß Sie so viel gar nicht über Freunde und Verwandte wissen wollten, wie Sie jetzt wissen.
Es belastet Sie.
Kachelmann, ist ja so nett. Aber jetzt…
Wir können damit nicht umgehen. Wir haben nicht gelernt, unser Wissen über andere zu relativieren, zu verharmlosen. Immer erregen wir uns, zeigen mit dem Finger auf diese Leute, möchten sie einsperren oder am liebsten umbringen, denn sie sind gefährlich. Wir sehen in ihnen den Sündenbock.
Wir sind gefährlich. Denn bisher haben wir nur auf andere geschaut. Nie auf uns selber. Woher nehmen wir die Gewißheit, daß wir besser sind als alle anderen. Als die…
Doch nur, weil wir uns nicht mit uns selbst beschäftigen. Nicht beschäftigen wollen. Wir können die Wahrheit nicht ertragen. Wir wollen nicht nur nichts über Freunde und Verwandte wissen, am wenigsten wollen wir etwas über uns wissen. Wir würden es nicht ertragen. Denn wir glauben ausschließlich an das Gute im Menschen, vor allem an das Gute in uns selbst. Wenn wir erkennen würden, daß nichts gut ist in Afghanistan, aber noch weniger in uns, würden wir zusammenbrechen. Chaos.
Wir haben nicht gelernt, damit umzugehen. Und es wäre jetzt zu einfach von mir, zu sagen, ja dann machen wir es doch: glauben wir an das Böse im Menschen, dann wir alles gut gehen.
Denn es kommt auf uns zu: Das Böse im Internet. In Form von uns. In der gnadenlosen Aufzeichnung aller Schritte von uns. Jede Handlung, jede Einzelheit, jeder Schritt. Ich will das gar nicht vertiefen, denn ich habe auch nicht jede Handlung, jede Einzelheit und jeden Schritt von mir im Griff. Geht ja auch keinen was an.
Hat aber schon. Ist schon bekannt. Wissen viele Leute. Zu viele. Würde denen und mir die Schamröte ins Gesicht treiben, wenn wir uns gegenüberstehen. Wollen die und ich gar nicht wissen. Aber um einen Kachelmann als Konkurrenten im lukrativen Wetterdienst auszuschalten, schon. Sind ja die kleinen Erfolge, die zählen. Wissen ist Macht. Und der frühe Vogel fängt den Wurm. Sie wissen gar nicht, was Sie behindert, benachteiligt, umbringt. Vor allem wissen Sie nicht, wer.
Das Problem ist doch, daß wir mit dem Bösen in uns nicht umgehen können. Wurde zu viel verteufelt (das war jetzt eine sehr witzige Bemerkung).
Wenn wir wüßten, daß das Böse oft und das Gute selten ist, dann könnten wir uns uns nähern. Aber noch sind wir dazu nicht in der Lage. Wir sind so verbogen, daß wir selbst das Böse stets als das Gute ansehen, weil wir ansonsten zusammenbrechen würden.
Sie können mir hier natürlich nicht mehr folgen und Sie halten mich für verrückt, aber ich sage nur: Hitler.
Jeder wußte, daß er böse war. Aber er wurde verehrt wie ein Gott.
Napoleon, Lenin, Mao? Alles gute Leute? Wenn es das Internet damals schon gegeben hätte, wären sie nicht an die Macht gekommen.
Und was ist mit Putin? Rasputin?
Ich zeige ja bewußt auf diese Leute, um mich nicht selbst zu thematisieren.
Was ist, wenn wir das Böse als Norm anerkennen. Was ist mit unserer Strafverfolgung, Rache usw.? Wieder Auge um Auge? Wir haben ja Angst davor, wenn wir das Böse anerkennen. Sind dann sämtliche Schleusen geöffnet, wird das Böse noch böser?
Das glaube ich, wenn ich den Verlauf von Kriegen sehe. Dreissigjähriger Krieg, Ruanda.
Aber was weiß ich. Ich weiß es deshalb nicht, weil die Zukunft wie ein wildes Pferd in mein Haus stürmt, wie es jemand vor kurzem gesagt hat. Was lerne ich dann daraus? Flüchten oder standhalten? Ich habe keine Lösung.
Unser wildes Pferd ist das Internet. Und da wir Informationen über Polanski, Kachelmann, Kirche und Kinderschänder immer noch ins Maßlose verurteilen, wird eine Stampede an Büffeln und Pferden über uns hinweglaufen, bevor wir Schutz finden.