Montag, 6. September 2010

Rubens Kreuzigung des Petrus

Köln, St. Peter 2004

Vor Jahren habe ich vor diesem Bild geweint. Weil es mich so unerwartet traf, in seiner Brutalität. Da nageln brutale Soldatenknechte den nackten Petrus ans Kreuz, falschherum, mit dem Kopf nach unten. Petrus schaut mit aufgerissenen Augen, mehr ungläubig, was ihm passiert, als gequält. Kann Gott mir das antun. Steht für die ganze Menschheit.

Die Soldaten um ihn herum tun ihr Handwerk. Konzentriert, verbissen, they do a good job. Sie merken den Schmerz nicht, so konzentriert sind sie bei der Arbeit.

Heute, im Sommermonat Juni 2004 stehe ich wieder vor dem Bild. Die Kirche in der Mittagszeit war offen. Der schöne Ziegelfußboden von einst entfernt, wich modernem Schwimmbeton. Chilidas zerrissener Altar auf die Seite geschoben und vorn ein ruhiger moderner Betontisch. Schön, bin ich versucht zu sagen, richtig, dass man diese Steinwüste entfernt hat. Ich bin bei Meissner, Ratzinger und Johannes Paul, keine Experimente, der Altartisch muß geschlossen sein. Beim nächsten Blick ertappe ich mich bei der Moderne, warum nicht, diese Zerrissenheit von Chilida, die moderne Dreifaltigkeit. Diese drei Brandungsklippen, links Jesus, rechts Gott und in der Mitte der heilige Geist. Da habt ihr ihn, verstehe wer will.

Ich stehe vor dem Altarbild des Rubens. Es ist der einzige Farbtupfer dieser kargen Kirche, könnte evangelisch sein. Neben mir links steht ein einsamer Handwerker auf einer hohen Leiter und arbeitet am Kirchenfenster. Neue Fenster, frage ich ihn hinterher, nein, sagt er, neues Glas.

Ich stehe vor Rubens. Dieser XXL der alten Moderne. Der wuchtigen Malerei. Was wäre, denke ich, wenn Petrus ein Iraker wäre und die Soldaten um ihn herum Amerikaner. Denk nich so´n Scheiß, sage ich mir, aber die Idee hat was. Verfremdendes. Vor allem gibt es den Blick frei auf das Bild und das Denken der damaligen Zeitgenossen. Kriegt was von der Bild-Zeitung, das Bild, denke ich. Sensationslüsternheit. BILD will genau zeigen, wie Petrus ans Kreuz genagelt wurde, alle Details, schonungslos. Kann sich jeder drüber aufregen. Mir fällt der orangene Amerikaner ein, der, den sie vor laufender Kamera enthauptet haben, Kopf abgesäbelt, mühsam, aber erfolgreich. Grausam, auf die Art, dass ich dachte, ich könnte nie mehr geradeaus gucken, nie mehr unbefangen diese Welt sehen, so entjungfert war sie von meinen Illusionen. So schuldig ich Sehender. Ja, das war Rubens, ein Sensationsmaler. Leute aufregen, aber auch geil machen mit den blutigen Details. Oh, dieser Schmerz, oh diese Qual, oh dieses Blut. Wenn man dann noch diesen kitschigen Engel rechts oben sieht, diese Putte, die den Lorbeerkranz heranfliegt, für wen auch immer, wahrscheinlich Petrus, ganz sicher Petrus, dann weiß man, mit welch trivialen Mitteln Rubens sein Publikum begeistern konnte, wollte. Der Engelbert Humperdinck der Malerei. Auf einmal war Rubens für mich die Verona Feldbusch der Malerei, oder Beuys oder Warhol. Diese kraftvollen Körper, für schwule Fürsten gemalt oder (siehe oben) die beiden schwulen Maler.

Wunderbar, Rubens, du hast mich erwischt, umsonst geweint vor deiner ergreifenden Altarszene, hab gesehen, wie du beim schärfsten Pinselstrich auf einmal dein Bier getrunken hast, hinter der Leinwand, oder deinen Pinsel in etwas anderes getaucht als Farbe. Die berühmten Künstler ihrer Zeit neigen also zu Durchschnitt, dachte ich, sonst könnten sie nicht so berühmt sein, so vom Durchschnitt geliebt.

Dirk Kranefuss