Montag, 4. Oktober 2010

Nichts

Schon der Titel eine Vermessenheit in Zuwenig und Zuviel. Und das zieht sich das ganze Buch hindurch, wo man nicht sagen kann, ist es ein Buch oder ein Büchlein, für Erwachsene oder für Kinder, für Janne Teller oder für uns.

Schon bald merkt man, daß es von allem alles hat, eben von Nichts nichts und von allem Alles. Kommt wie die Kinder eines dänischen Dorfes in den Alltagsunterricht der Klasse 7. Und in eine kleine Detektivgeschichte von den Kindern auf der Suche nach sich selbst, und die Autorin ist selbst als Agnes eines der Kinder. Die Suche nach der Bedeutung des Lebens.

Die hat ihnen ein Mitschüler bestritten, Pierre Anthon. Immer, wenn die Schüler etwas gefunden haben, was ihr Leben lebenswert macht, schlägt es ihnen Pierre Anthon mit Argumenten aus der Hand. Von der Feststellung „nichts bedeutet irgendetwas“ über „in demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben“ über „erst verliebt man sich, dann geht man miteinander, dann hört die Verliebtheit auf, dann trennt man sich wieder“ bis hin zu „was ihr also gefunden haben mögt, die Bedeutung war es nicht, denn die existiert gar nicht“. Denn Pierre Anton ist Existentialist und Nihilist.
Und dem wollen die Kinder etwas entgegensetzen, wenn nicht alles, so doch wenigstens etwas. Sie wollen eine Welt von Bedeutung. Nichts, das ist der Tod. Welt und Bedeutung sind das Leben. Die Antwort der Kinder lautet, wovon ich mich am schwersten trennen kann, das hat für mich die größte Bedeutung. Und so trennen sich die Kinder von einer alten Puppe, einem Perlmuttkamm, einem Gesangbuch, Kleidungsstücken und einer Beatleskassette, bringen die Sachen in ein altes Sägewerk und türmen sie dort zu einem „Berg der Bedeutung“ auf.

Da sie aber nicht sicher sind, ob das wirklich die bedeutendsten Dinge des Lebens sind, setzen sie die Suche in einer Art negativen Auslese fort. Jeweils ein anderer bestimmt, was ein Mitschüler abzuliefern hat. Das was wirklich weh tut, das hat Bedeutung im Leben. Und das sind dann die Lieblingsschuhe, die Lieblingsohrringe und das Tagebuch, also die schönsten Sachen. Das steigert sich zum Hergeben von Fahne, Gebetsteppich und Christusfigur, (stellvertretend für Nation und Religion). Und gruselig wird es, wenn es ein Toter und ein Tier geopfert werden müssen, den Sarg mit Elises Bruder und den Hund. Und als schliesslich Marie-Ursula ihre blauen Zöpfe hergeben muß und Sofie ihre Unschuld, da geht es ans Eingemachte. Danach ist es nur noch ein kurzer Schnitt ins Leben selbst, Jan-Johan verliert seinen Zeigefinger und beendet das Ritualspiel, indem er die Gruppe verpetzt.
Das Dorf nimmt entsetzt Kenntnis vom Treiben der Kinder, die Presse, das Fernsehen, schließlich das ganze Land, bis der „Berg der Bedeutung“ als großes Kunstwerk erkannt und an ein Museum verkauft wird. Da spätestens verliert er für die Kinder an Bedeutung als sie erkennen, daß sie alles vergebens geopfert haben. Sie schlagen Pierre Anthon tot. Und bleiben ratlos zurück und lassen offen, ob das Leben doch eine oder keine Bedeutung für sie hat.

Das Buch ist eine Art Jesusgeschichte. Die Kapitel sind mit römischen Ziffern numeriert und steigern die Handlung von Station zu Station. Die Kinder nähern sich dem Berg der Bedeutung wie einem Kalvarienberg. Und am Ende schlagen sie ihren Propheten tot, weil sie mit seiner Wahrheit nicht leben können. Janne Teller läßt uns mit den Widersprüchen des Lebens allein, weil auch sie keine Antwort hat.