Januar 2011 fuhr ich nach Bruckhausen, einem vergessenen Stadtteil im Norden Duisburgs, im Niemandsland zwischen Hamborn und Beeck, Orte, die auch keiner kennt. Von Kamp-Lintfort über den Emscherschnellweg kommend fährt man unter einer Stelzen-Autobahn an riesigen Hochöfen vorbei in einen Ort, wo die Zeit stehengeblieben ist. Eine Ansammlung von Häusern vor dem Krieg und aus der Zeit der jungen Bundesrepublik, eine katholische Kirche, ein ev. Gemeindehaus. Ein türkischer Sportverein mit der Jahreszahl 1920 ist offensichtlich auch vor der Zeit stehengeblieben. Staunend plane ich, die nächste Führung nicht mehr durch Köln oder Trier zu machen, sondern hierher, nach Bruckhausen. In dieses Museum alter Häuser und Industriegebäude. Dieser Ort war mal reicher als jetzt.
Das wird demnächst alles abgerissen, sagte mir die junge Schulleiterin der Grundschule Bruckhausen, die ich an diesem Tag aufsuchte. Eine Schande, sagte ich und dagegen ist nichts zu machen? Zwecklos, sagte sie, die Politik ist fest entschlossen, eine grüne Schneise zwischen den Ort und Thyssen Krupp zu schlagen. Dann muss ich mich mit meiner Stadtführung wohl beeilen, dachte ich.
Man sollte wenigstens eine Fotodokumentation machen, sagte ich. Längst in Arbeit, erwiderte sie, es gibt auch schon einige Webseiten.
Aber das war nicht mein Thema.
Mein Thema war die Grundschule Bruckhausen im Brennpunkt von „Türken auf dem Weg nach Deutschland“. Nur fünf Prozent der Schüler sind deutsch, also deutscher Abstammung und deutsche Eltern, die nur über die Straße wohnen, halten ihre Kinder vom Besuch der Schule ab. Der Anteil der Menschen in Bruckhausen mit Migrationshintergrund liegt bei über 80 Prozent, die meisten davon türkischer Abstammung.
„Die meisten Kinder können kein Deutsch, wenn sie zu uns kommen, wir müssen es ihnen beibringen. Für diese Kinder wäre ein Null-Jahr das Beste. Denn die Eltern erziehen ihre Kinder nicht, sprechen schlechtes Türkisch und kein Deutsch mit ihnen und lasten uns die ganze Erziehungsarbeit auf, weil sie das von der Türkei so gewohnt sind. Und es wird nicht besser, sondern schlechter. Zu unseren Schulveranstaltungen und Integrationsabenden sind früher noch Muslime gekommen. Seit einem Jahr keiner mehr. Auf dem Fest für Christen, Juden und Muslimen sind die Pfarrer und Rabbis erschienen, aber kein Imam, kein Muslim. Sie sagen noch nicht einmal ab. Sie kommen nicht, sie schweigen ganz einfach.“
„Auch in Duisburg-Marxloh ist das so, in der Moschee sind alle Inschriften auf Türkisch, obwohl sie doch Vorzeigemodell für Integration sein will. Wie sollen sich da deutsche Besucher orientieren, wenn sie zum Gemeinschaftsraum wollen?“
Können die Schüler denn Deutsch, wenn sie abgehen?
Da können Sie aber sicher sein, da sorgen wir schon für, lachte sie.
Und gehen die dann auf die Hauptschule oder auf die Realschule?
Meist auf die Gesamtschule, sagte sie, und die Ergebnisse sind besser als erwartet. Einige machen den Realschulabschluss oder das Abitur.
Wir gehen durch die Schule, ein großer Altbau mit hohen Räumen, gelb und blau gestrichen, hell und gepflegt. In der Kantine sitzen 30 Kinder und essen Kartoffeln mit Rotkohl. Ausgerechnet an diesem Tag sollte Leberkäse angeliefert werden, der aber gar nicht erst angenommen wurde. Soweit sind wir schon, dass nicht sie sich unseren, sondern wir uns ihren Sitten unterwerfen, denke ich. Einige Kinder grüßen uns freundlich.
Im Computerraum stehen 30 moderne Flachbildschirme und in der großen Turnhalle spielen Kinder Brennball als ginge es um ihr Leben. Die Aula sah mit ihrer Bühne und ihren hellen Stühlen so aus wie das Düsseldorfer Kommödchen. Und beschwingt ging ich durch die freundlichen Räume mit den freundlichen Lehrern. Die Kinder waren die eigentliche Überraschung – alle schienen glücklich, an dieser Schule zu sein.
Da gibt es ja doch viel Licht neben dem Schatten in Duisburg-Bruckhausen, sagte ich, aber der Schatten wächst.
Ich verließ Bruckhausen mit Gedanken an Thilo Sarrazin und Stéphane Hessel. Da bereiten wir freundliche lernbegierige Migrantenkinder erfolgreich auf das Leben vor, aber wir erlauben jedes Jahr den Zuzug von tausenden nicht deutsch sprechenden türkischen Bräuten und Imamen und reissen dadurch mehr ein, als wir aufbauen.
Hannelore Kraft hatte gerade medienwirksam in einer Arztpraxis von Bruckhausen ausgeholfen, aber mit so niederen Themen wie dem meinen kam sie nicht in Berührung.
Wohlweislich, unterstelle ich ihr, denn sonst müsste sie ja handeln.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,541068,00.htm
http://www.rp-online.de/niederrheinnord/duisburg/nachrichten/Schwester-Hannelore-hilft_aid_952479.html